Benötigt ein Kind, das gerade laufen lernt, direkt Schuhe?

Ich weiß, dass die ersten Schritte aufregend sind und von vielen Eltern und Großeltern mit dem Kauf der ersten Schuhe zelebriert werden wollen, aber vielleicht denken wir doch nochmal über das Konzept Schuh nach?

Zurück zur Frage:

Benötigt ein Kind, das gerade laufen lernt, direkt Schuhe?

Das kommt sicher darauf an, wen man fragt. Ich möchte die Frage nicht direkt beantworten. Ich möchte lieber, dass Du Dir selbst ein paar Fragen stellst.

  • Sehen alle Kinderfüße gleich aus?
  • Sind Schuhformen so individuell wie Füße?
  • Wenn du daran denkst, wie du deine Füße gemütlich hochlegst, hast du dann Schuhe an?
  • Trägst du am Strand gerne Schuhe?

Ich denke einige Fragen (oder sogar alle) solltest Du mit NEIN beantwortet haben, denn Schuhe engen uns in der Regel ein. Klar. Sie schützen uns vor Verletzungen. Sie schützen uns, wenn der Boden zu heiß/zu kalt ist, aber sie nehmen uns auch viel, denn wir können unsere Füße kaum noch nutzen.

Schuhe verhindern sensorische Erfahrungen

In einer Fortbildung zum Pikler-Material hat meine Dozentin einmal diesen interessanten Selbstversuch angeregt:

  1. Schuhe ausziehen
  2. Schuhe auf die Hände ziehen
  3. Warten

Wie fühlen sich die Hände an? Irgendwie nutzlos? Sie haben weniger Bewegungsspielraum und spüren weniger, denn der Reiz durch das Material lässt nach. Wir können nicht dauerhaft ein und denselben Reiz spüren. Das wäre ja auch unpraktisch, wenn wir beispielsweise den ganzen Tag damit beschäftigt wären unsere Kleidung zu spüren. Aber zurück zu den Schuhen. Wenn es uns schon so geht, wie soll es dann unseren Kindern gehen? Die kleinen Weltentdecker wollen die Welt auf jede erdenkliche Art und Weise erkunden und taktile Reize durch den Untergrund aufzunehmen zählt dazu. Wie soll ein Kind lernen, dass man vorsichtig auftreten muss, wenn der Schuh einen von Anfang an immer „schützt“? Wie soll ein Kind wissen, dass verschiedene Untergründe trotz gleichbleibender Außentemperatur wärmer oder kälter sind. Glatt oder rau?

Das Fußgewölbe wird übrigens bis zum dritten Lebensjahr unserer Kinder ausgebildet. Das geschieht durch freies krabbeln, stehen, laufen. Durch Bewegung aller Muskeln und Sehnen. Haben unsere Kinder wenige Möglichkeiten dies zu tun, so werden ihre Füße krank.

Schuhe machen unsere Füße krank

Ein weiter Aspekt liegt auf medizinischer Ebene. Wir wissen mittlerweile so viel über Schuhe und ihre Auswirkungen auf den Fuß, aber dennoch bekommt ihr in vielen Geschäften noch immer Schuhe, die meiner Meinung nach eigentlich verboten gehören. Und hier meine ich jetzt nicht die chemische Belastung, sondern tatsächlich die Gesundheitsgefährdung durch ein falsches Fußbett bzw. die fehlende Flexibilität der Sohle. Kann man den Zahlen trauen, so sind nur 2% aller Fußschäden angeboren (Sichel-/Klump- oder Hackenfüße). Wo kommt also der Rest her? Woher kommen Knick- oder Plattfüße? Eine Ursache kann Übergewicht sein, aber diese Ursache schiebe ich bei Kleinkindern mal zur Seite. Bleiben noch Bewegungsmangel und? Genau. „Falsche“ Schuhe!

Worauf muss ich achten, wenn ich doch Schuhe kaufe?

Größe

Die passende Schuhgröße ist unheimlich wichtig, denn Studien belegen, dass insbesondere zu enge Schuhe Fußfehlstellungen verursachen. Aber auch Gelenke, Muskulatur, das Gefäßsystem und damit der gesamte Organismus leiden unter „falschen“ Schuhen. Der Spielraum im Schuh sollte je nachdem wo ihr die Info findet zwischen 09 und 17 mm betragen. Kinderfüße sind noch unheimlich weich und somit formbar. Hinzu kommt, dass Kinder bis sie ca. 10 Jahre sind wenig druckempfindlich sind. Das führt schnell dazu, dass sich die Füße verformen ohne dass wir oder die Kinder so schnell etwas davon bemerken. Wer es wirklich genau nehmen möchte, der sollte sich zudem über die Großzähenhöhe, die Ballenpunkte und den Groß-und Kleinzehenwinkel informieren, z. B. hier

Hier geht es zu einer dieser Studien (englisch)!

Und bitte verzichtet auf den Drucktest. Kinder ziehen die Zehen ein. Wenn wir also vorne drücken sagt das nichts darüber aus, ob tatsächlich genug Platz im Schuh ist. Nachmessen wird übrigens ca. einmal im Quartal empfohlen. Kinderfüße wachsen im Alter bis 3 Jahren ca. 1,5 mm im Monat und im Alter von 3 bis 6 Jahren immerhin noch 1 mm. Das macht durchschnittlich ca. 2 Schuhgrößen im Jahr.

Passform

Abgesehen davon, dass auch die Breite des Fußes beachtet werden sollte, ist es gerade zu Beginn empfehlenswert Schuhe zu kaufen, die bis zum Knöchel reichen. Dies verhindert, dass die Kinder sich beim umknicken schnell verletzen.

Tragedauer

So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Nur wenn es wirklich nicht anders geht, sollte das Kind Schuhe tragen. Im Kinderwagen, zu Hause und einfach überall dort, wo wenig gefahren lauern, sollte auf Schuhe verzichtet werden, damit der Fuß sich gesund entwickeln kann.

Neu oder gebraucht?

Lange ging man davon aus, dass gebraucht Schuhe nicht gut für das Fußbett sind. Mittlerweile scheint dies jedoch widerlegt, so dass Schuhe gerne aufgetragen werden können, so lange sie nicht völlig ausgelatscht sind.

Material

Das Material sollte atmungsaktiv sein. Kinderfüße schwitzen schnell.

Verarbeitung

Fass doch zur Sicherheit lieber auch in den Schuh hinein und schau, ob Nähte oder Kanten vielleicht unangenehm sein könnten.

Zeitpunkt des Kaufs

Nachmittags oder Abends, denn im Laufe des Tages schwellen Füße an. Dieser Zeitpunkt gilt auch, falls Du ohne Kind Schuhe kaufen möchtest und dafür eine Schablone anfertigst.

Oftmals findet man die Angabe „wenn das Kind sicher läuft“. Ich würde es tatsächlich auch dann noch hinauszögern. Es gibt schließlich viele Dinge, die gegen festes Schuhwerk sprechen und wie schlimm ist es wirklich den Kauf hinauszuschieben? Wie schlimm ist es, dass die Leute blöd gucken, wenn ein Kind barfuss läuft? Meine Jüngste, die Kichererbse, ist regelmäßig barfuss im Wald, einkaufen und und und. Die Blicke sind oft nervig, aber das Kind ist glücklich, selten krank und motorisch topfit. Das überwiegt für mich.

Alternative Barfußschuhe

Eine tolle Alternative zu herkömmlichen Schuhen, sind Barfußschuhe. Wir haben beispielsweise mittlerweile Wildlinge und sind damit sehr zufrieden. Man wird nicht schräg angeschaut, hat ausreichend Schutz, aber auch die volle Bequemlichkeit. Letztens habe ich sogar meine Füße hochgelegt und erst dann bemerkt, dass ich im Haus Schuhe trage 🙂 Leider findet man diese moderne Art von Schuhen selten im Laden um die Ecke, aber das sollte kein Hindernis sein. Auf der Wildling-Seite könnt ihr beispielsweise eine Druckvorlage für die jeweilige Schuhart/Schuhgröße bekommen, um die Passform zu testen. Andere Barfußschuhe haben wir noch nicht getestet, dementsprechend gibt es hierzu keine Empfehlung von mir, aber ihr könnt gerne von euren Erfahrungen berichten!

Das Wort zum Schluss:

Lauflernschuhe sind keine Schuhe mit denen man laufen lernt!

das_sinneskarussell

Veröffentlicht von Sabrina vom Sinneskarussell

Hallo ihr Lieben, ich bin Sabrina. Mama von vier wundervollen Kindern (geboren 2001, 2003, 2015 und 2022) und Erziehungswissenschaftlerin mit Leib und Seele. Vor meiner letzten Elternzeit arbeitete ich als Lehrkraft an einem Berufskolleg in der Fachschule für ErzieherInnen. Außerdem war ich parallel in der Familienbildung in Dortmund und im Kreis Unna aktiv. Neben den Sinneskarussell-Kursen indoor, outdoor und online, biete ich Stoffwindel-, Windelfrei-, Still-, Beikost- und Schlafberatung an, bin Trainerin für psychomotorische Bewegungsentwicklung im Wasser und Übungsleiterin im Kinderturnen. Ein buntes Potpourri an Dienstleistungen rund um das Familienleben also. Mittlerweile leben wir im Aargau (Schweiz) und ich biete hier neben Kursen und Beratungen auch Spielgruppen (Stetten AG) und Tagespflege (Meisterschwanden) an. Ich möchte auf meiner Seite zudem nach und nach allen interessierten Eltern meine gesammelten Werke an Ideen und Materialempfehlungen zur Verfügung stellen.

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